Wenn das Selbstverständnis des Menschen infrage gestellt wird, dann erfährt er nach Sigmund Freud eine narzisstische Kränkung. Die Menschheit als Ganzes hat bis zu Freuds Lebzeiten drei solcher Kränkungen erleiden müssen. Die erste war die kosmologische Kränkung durch die Kopernikanische Wende mit der Erkenntnis, dass die Erde nicht der Mittelpunkt des Weltalls ist. Dann kam die biologische Kränkung durch Darwins Erkenntnis, dass der Mensch durch Evolution aus einer Tierreihe hervorgegangen ist. Und schließlich die psychologische Kränkung, die uns Freud selbst beschert hat mit der peinlichen Einsicht, dass das Ich nicht Herr sei in seinem eigenen Hause.
Heute befinden wir uns mitten in der vierten narzisstischen Kränkung der Menschheit. Nämlich der äußerst unbequemen Wahrheit, dass unsere Lebensweise auf Dauer die eigenen Lebensgrundlagen zerstört. Solche Kränkungen erzeugen bei den Zeitgenossen eine irrationale Ablehnung, die bei späteren Generationen nur noch für Kopfschütteln sorgt. Dabei waren die ersten drei Kränkungen vergleichsweise einfach wegzustecken. Ob sich die Sonne nun um die Erde oder die Erde um die Sonne dreht, das hat keine Auswirkung auf den Lebensstil der Menschen.
Die vierte narzisstische Kränkung ist da ein ganz anderes Kaliber. Wer nämlich den menschengemachten Klimawandel begriffen hat und die Bedrohung, die davon für alle Lebewesen auf der Erde ausgeht, kommt nicht um eine Änderung seines Verhaltens herum.
Wieso halten wir dann krampfhaft am Alten fest, kaufen wieder mehr Verbrenner- Autos, hetzen gegen Wärmepumpen, führen kein Tempolimit auf Autobahnen ein, obwohl 55 % laut der letzten ADAC-Umfrage dafür sind?
Was macht das mit einem, wenn man permanent gegen seine eigenen Erkenntnisse handelt? Was macht das mit einer ganzen Gesellschaft?
Ich hatte geglaubt, schon vor Jahren die menschengemachte Erderwärmung begriffen zu haben. Meine Arbeit ließ mir wenig Zeit, aber ich bin regelmäßig zum Wählen gegangen und habe darauf vertraut, dass die Politiker das schon regeln werden. Ich habe nicht an mich herangelassen, dass ich selbst etwas tun muss.
Erst als ich Harald Lesch im überfüllten AudiMax der TU dabei zusehen konnte, wie er sich bei seinen Studenten dafür entschuldigte, dass er und seine Generation dabei versagt haben, den Klimawandel aufzuhalten, hat mich die Erkenntnis des Klimawandels auch emotional erreicht. Das war mein Kipppunkt. Rationale Erkenntnis fuhrt anscheinend nicht zum Handeln. Aber Emotionen können das.
Oft hört man, was bringt das schon, wenn ich mich andere, oder auch: Deutschland ist so klein, sollen doch die anderen sich erstmal andern. Das mag rational erscheinen. Nur, wenn alle so denken, dann ändert sich nichts. Wir haben das Privileg, in einer aufgeklärten, freien Gesellschaft leben zu können. Gerade deshalb haben wir die Pflicht zur sozialen Verantwortung. Und dazu gehört insbesondere, dass wir den folgenden Generationen eine lebenswerte Erde hinterlassen.
Übrigens reichen weniger als 5 % der Menschen aus, um die Stimmung in einer Gesellschaft zu drehen. Das wäre doch mal ein erstrebenswerter Kipppunkt.
(Bericht: Klimabeirat/Peter Neumann, Bild: KI Image Creator in Bing)